Die Nordsee bildete im 16. Jahrhundert zwischen Neuharlingersiel und Minsen eine nach Süden reichende Bucht, die sich bis zu etwa 8 Kilometer ins Landesinnere erstreckte: Die Harlebucht! Nachdem die Nordsee seit 1545 durch Maßnahmen der Landgewinnung immer weiter zurückgedrängt worden war, wurde 1729 auch die Eindeichung des Carolinengrodens abgeschlossen, mit der der Harlebucht auf Veranlassung des Reichsfürsten Georg Albrecht von Ostfriesland (1708 bis 1734) eine weitere Siedlungsfläche abgetrotzt worden war.
Carolinensiel wurde Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet.
Als Carolinen-Sluis wurde die Ansiedlung erstmals 1730 in einer Urkunde erwähnt, während sie 1787 als Carolinensyhl verzeichnet war. Die Bezeichnung der Ortschaft als Carolinensiel ist erstmals 1871 in einer Urkunde belegt.
Seinen Namen leitet Carolinensiel von der Flurbezeichnung des Carolinengrodens ab, auf dem die Ansiedlung errichtet wurde. Der Name des Carolinengrodens wiederum geht auf Reichsfürstin Sophie Karoline von Ostfriesland (*1707 bis 1764) zurück, die seit dem 8. Dezember 1723 mit Georg Albrecht verheiratet war.
Nach Georg Albrechts Vorstellung sollte in der Ortschaft auch ein bedeutender Hafen entstehen, der der Grafschaft Ostfriesland und der Herrschaft Jever als Umschlagsort dienen sollte. Den vor den Sturmfluten der Nordsee geschützten Ankerplatz ließ Georg Albrecht schon 1729 anlegen, sodass sich Carolinensiel schnell zu einem wichtigen Handelsplatz entwickelte.
Um die Besiedlung des Carolinengrodens zu fördern, tätigte Georg Albrecht im Januar und Februar 1730 einen Aufruf, der in Norddeutschland nicht nur „von allen Kantzelen publiciert“, sondern auch in mehreren Zeitungen veröffentlicht wurde. Um auch ausländische Siedler für den Carolinengroden zu werben, platzierte er im Februar 1730 auch Anzeigen in einigen Zeitungen in den Niederlanden.
„Nachdem Ihro Hochfürstliche Durchlaucht zu Ostfriesland in Dero Herrschaft Wittmund im vorigen Jahre einen neuen mit bequemen aus- und inwendigen Haven versehenen Syhl angelegt haben, und gnädigst intentionieret sind, diejenigen, die daselbst sich häuslich niederzulassen. Schiffahrt und Handlung, auch allerhand Nahrung zu treiben, Lust haben, nicht nur bequeme Wohnplätze anweisen zu laßen, und bey jeden, nach Belieben der Annehmer, gewisse Stücke vom neu eingedeichten Groden zu Garten, Viehzucht und Ackerbau in Erbpacht zu verleihen, sondern auch solchen neuen Einwohnern auf zehen Jahre Freyheit von allen bürgerlichen Lasten zu erteilen.“
„Nadien syn Hoogvorstel. Doorl. van Oostvriesland in desselfs Heerlykheid Wittmund in hete voorlede jaar eene nieuwe Sluis met bequame buiten, en binnenhavens heeft laten aanleggen, en geintentioneert is diegene welke zig daar met der woon zouden nedersetten, lust hebbende om Scheepvaart en handel te dryven, niet alleen bequame woonplaatsen aan te doen wysen, en by jeder na believen des Aannemers een stük nieu ingedykt Land tot Hoven, Vee en Aekerwerk in Erfpagt te geven, ook soodanige nieuwe inwoonders 10 jaren vryheid van alle Burgerlyke Lasten te laten genieten, soo wert zulks by desen bekent gemaakt, op dat diegene de welke genegen zyn aan de bovengenaamde Carolinen-Sluis aantebouwen sig den 16. Maart aanstaande tot Oud Funnixzyl konnen laten vinden.“
Die weiträumige Anpreisung des Siedlungsprojekts verlief aber erfolglos. Allein aus der näheren Umgebung meldeten sich Siedler, um in Carolinensiel ein persönlich und wirtschaftlich besseres Leben zu finden.
Gleichwohl wuchs die Bevölkerung schnell. Während 1758 in Carolinensiel etwa 200 Einwohner gezählt wurden, lebten 1758 bereits etwa 750 Menschen in dem Ort.
Den Siedlern gewährte Georg Albrecht nicht nur Grundstücke zum Hausbau. Die für die ersten dreiundzwanzig „Kolonisten“ bestimmten Grundstücke, die eine Fläche von etwa 200 Quadratmeter hatten, lagen um den Hafen. Den Siedlern stellte Georg Albrecht vielmehr auch Flächen zur Landwirtschaft zur Verfügung, die eine Fläche von bis zu 2 Hektar umfassten.
Die etwa 2,3 Kilometer lange Zufahrt zum Hafen verfügte nicht nur über ein tiefes Strombett, das auch schwere und tiefgehende Schiffe aufnehmen konnte. Mit der 1765 erbauten Friedrichsschleuse war der Ankerplatz auch der einzige Sielhafen in Ostfriesland, der der Nordsee nicht direkt ausgesetzt war.
Der Hafen war mit modernen Anlagen ausgestattet, die den Warenumschlag schnell und sicher bewirken konnten. Die in der Grafschaft Ostfriesland und der Herrschaft Jever herangezogenen Erzeugnisse der Landwirtschaft, insbesondere Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Milchprodukte, wurden über den Hafen verschifft. Das zur Entwicklung der Region erforderliche Material wurde über den Hafen eingeführt, insbesondere Holz aus Norwegen sowie Mauersteine, Dachziegel und Torf von der Ems. Die aus den britischen Kolonien stammenden Verbrauchsgüter wurden ebenfalls über den Hafen angeliefert, insbesondere Tee.
Die errichtete Kornmühle und die erbaute Ölmühle wurden überörtlich genutzt.
Die Französische Revolution (1789 bis 1799), in der sich die französischen Bürger gegen das (Erste) Königreich Frankreich erhoben, führte zu langjährigen Auseinandersetzungen zwischen der (Ersten) Französischen Republik bzw. dem (Ersten) Französischen Kaiserreich und den anderen europäischen Staaten. Nachdem der französische Kaiser Napoléon I Bonaparte (1804 bis 1814 und 1815) nahezu alle Staaten in Europa durch militärische oder diplomatische Maßnahmen unter seine Kontrolle gebracht hatte, verfügte er am 21. November 1806 gegen das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland eine Wirtschaftsblockade, die als Kontinentalsperre in die Geschichte einging. Das Verbot des Handels mit britischen und irländischen Waren auf nahezu dem gesamten europäischen Kontinent dauerte über etwa sieben Jahre an, bevor es sich ab Anfang 1813 faktisch auflöste.
Die Kontinentalsperre traf auch Carolinensiel schwer.
Der Handel kam nahezu zum Erliegen. Der Schmuggel, der insbesondere über das zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland gehörende Helgoland abgewickelt wurde, blühte auf, obwohl er mit dem Tode bedroht war.
Seine Blütezeit erlebte Carolinensiel in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Um 1860 wurden in der Ortschaft nicht nur zwei Werften und vier Brauereien betrieben. Um 1860 waren in dem Ort vielmehr auch fünfunddreißig Seeschiffe und vierundzwanzig Wattschiffe, insbesondere die für das Wattenmeer geeigneten Plattbodensegelschiffe, gemeldet sowie vierzig Kapitäne ansässig; die Schiffe wurden häufig mit drei bis sechs Besatzungsmitgliedern als Familienunternehmen geführt.
Die weltoffene Einstellung und die großzügige Lebensart der „Seeleute vom Siel“ erzeugte oft den Argwohn der „Bauersleute vom Land“, die das Treiben in Carolinensiel mit Skepsis beobachteten. So entwickelte sich die noch heute gebräuchliche Redensart des „Cliner Windes“, die nicht die ständig von der Nordsee wehende Brise, sondern die lebendige Stimmung in Carolinensiel beschreibt.
Nachdem Carolinensiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Dampfschiffen und den Eisenbahnen nicht mehr konkurrieren konnte, wurde der Carolinensieler Hafen nicht weiter gepflegt, sodass er sich bis auf eine Entwässerungsrinne mit Schlick verfüllte. Allein der nördlich der Friedrichsschleuse gelegene Harlesieler Hafen, in dem die Fischkutter beheimatet waren, wurde ausgebaut, da sich die Einwohner von Carolinensiel nunmehr auf den Fischfang konzentrierten. Mit dem Ausbau des Harlesieler Hafens wurde nicht nur die Friedrichsschleuse geschlossen, vielmehr wurde 1962 auch der Carolinensieler Hafen zugeschüttet.
Die gefangenen Plattfische, Garnelen und Muscheln wurden überwiegend in der Konservenfabrik verarbeitet, die bis in die 1930er Jahre in Carolinensiel ansässig war, und bis nach Berlin verschickt. Südlich der Friedrichsschleuse wurde eine Darre betrieben, auf der der zur Verarbeitung ungeeignete Gammel getrocknet wurde, um ihn zu Viehfutter zu verarbeiten.
Während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) unterhielt das Großdeutsche Reich in Carolinensiel ein Kriegsgefangenenlager, in dem etwa einhundert Soldaten in zwei aus Stein erbauten Gebäuden untergebracht waren. In dem als Franzosenlager bezeichneten Teil des Gefängnisses waren französische Häftlinge untergebracht, während russische Internierte in dem als Russenlager benannten Teil des Lagers eingesperrt waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Carolinensiel zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene auf. Es verzeichnete 1946 etwa zweitausendeinhundert Einwohner, von denen etwa fünfhundertdreißig Flüchtlinge waren.
Mit den ab 1978 aufgekommenen Bemühungen zur Einrichtung des Deutschen Sielhafenmuseums, das am 8. Juni 1984 eröffnet wurde, entwickelten sich auch die Bestrebungen zur Reaktivierung des Carolinensieler Hafen. Nachdem die finanziellen Mittel von etwa 1,8 Millionen DEM sichergestellt worden waren, wurde der Carolinensieler Hafen von 1986 bis 1987 wieder freigelegt und am 9. September 1987 als Museumshafen Carolinensiel wieder eröffnet. Auch die Friedrichsschleuse wurde wieder mit einer Klappbrücke versehen und am 11. August 1990 erneut in Betrieb genommen.